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Glücksreligion und Glückspsychologie contra Annehmen von Leid und Dingen, die nicht wandelbar sind

Liebe Freunde

In unserem Titel geht es einmal mehr um zwei Pole, die einander gegenüber stehen (siehe auch Freundesbrief Nr. 15). Dazu in diesem Brief einige Gedanken, aufgeteilt in zwei Aspekte:

1. Der persönliche Aspekt
Wie Sie sich erinnern, haben wir im letzten Brief laut über die CTL-Arbeit nachgedacht. Dieses Nachdenken ist in mir aufgrund von Unsicherheiten aufgekommen. Am Ende des Briefes habe ich dann gesagt, dass solche Zeiten helfen, bewusster auf Gott zu hören. Und aus diesem Hören heraus bildete sich dann im Laufe des Sommers eine neue Fragestellung: Glaube ich, dass Gott für alle meine Bedürfnisse sorgt? Glaube ich, dass die Art und Weise, wie Gott sorgt, für mich die beste ist? Oder hege ich daran Zweifel? Steht für mich das Streben nach Glück und Wunschbefriedigung über dem, was Gott mir Gutes geben möchte? Versuche ich so, den guten Plan Gottes zu manipulieren, wozu Gott mir sogar die Freiheit lässt?
Daraus stellt sich mir eine weitere, grundsätzliche Frage: Was ist denn das Gute für mich, für uns als Beratungsstelle, für die Ratsuchenden? Ist es das, was uns im Moment gerade fehlt und wir es uns darum wünschen? Oder kann das Gute in einer bestimmten Situation darin verborgen sein, das nicht zu haben, was ich mir vorstelle? Kann ich vertrauen, dass es Gott grundsätzlich gut meint mit mir?
- Ich wünsche mir, dass wir immer voll mit Beratungsgesprächen ausgelastet sind. Ist es richtig, davon auszugehen, dass dies das Gute wäre für uns? Oder hat Gott mit weniger Neuanmeldungen im ersten Halbjahr etwas Besseres vor gehabt? Gönnte er uns einfach eine etwas ruhigere Zeit durch den Sommer? Wollte Gott, dass wir uns mit der im Titel erwähnten Fragestellung auseinandersetzen?
- Ich wünsche mir, dass jeden Monat der volle Lohn auf das Privatkonto überwiesen ist. Kann oder darf ich davon ausgehen, dass dies selbstverständlich ist? Darf das einfach zum Normal gehören? Oder belehrt uns jetzt auch unsere wirtschaftliche Lage einer anderen Realität, dass volle Lohnzahlungen eben nicht einfach selbstverständlich sind?
- Ich wünsche mir, die Beratungsstelle zu erweitern, neue MitarbeiterInnen anzustellen und Seminare anzubieten. Stimmt mein Wunsch mit dem guten Plan Gottes überein? Oder sehe ich darin vor allem die Erfüllung meiner Wünsche und glaube ich, nach deren Erfüllung dann glücklicher zu sein als heute?
Diese Aufzählung liesse sich noch fortsetzen. Was jetzt in mir bleibt, ist eine innere Ruhe, eine Gelassenheit die sagt, das es so GUT ist. Ich danke Gott dafür.

2. Der Aspekt der therapeutischen Seelsorge
In den Beratungsgesprächen begegnen auch die Ratsuchenden dieser Polarität. Und für uns als BeraterIn ist es eine wesentliche Aufgabe, im Gespräch und in der Stille mit den Ratsuchenden herauszuspüren, was wandelbar ist und wo es darum geht, etwas anzunehmen, was jetzt nicht wandelbar ist.
Buchhandlungen sind ein Spiegel der Zeit. Die psychologische und esoterische Ecke verdient diesen Namen schon lange nicht mehr; da sind ganze Abteilungen gefüllt mit tausenden von Glücksbringern. Wie wunderbar! Und wo viele Antworten angeboten werden, liegen viele Fragen, Schwierigkeiten, unbefriedigte Bedürfnisse und Not verborgen. Parallel dazu beobachte ich die Tendenz, dass jedes Missgefühl, jeder Schmerz, jede Unstimmigkeit weggemacht werden muss. Jeder Wunsch, jedes Bedürfnis muss befriedigt werden! Und dies nicht nur im Psychologie- und Esotheriksektor; auch in unseren christlichen Kirchen und Gemeinden hat dieses Denken Einzug gehalten. - Gott, der Glücksbringer? Gott der, welcher alle meine Wünsche und Bedürfnisse befriedigt? Und was ist dann, wenn er es nicht macht?
„Gott gebe mir die Gelassenheit, Unvermeidliches hinzunehmen, den Mut, Wandelbares zu wandeln, und die Weisheit, zwischen beidem zu unterscheiden.“
Viele Menschen leben mit Problemen und Fragen und kommen damit nicht mehr zurecht. Echte Not, Verletzungen, problematische Beziehungen usf. lassen sich durch die Beratungssitzungen in einen Wandlungsweg führen. Veränderung und Heilung ist möglich. Der Gegenpol jedoch - das Annehmen von Leid, von Unvollkommenheiten, von Begrenztheiten welche sich jetzt nicht wandeln lassen - darf nicht einer Glückspsychologie oder einer Glücksreligion verfallen. Ein schwieriger Weg. Jesus Christus würde dem wahrscheinlich ‘der schmale Weg’ sagen (Matth 7,13f). Aber es ist ein Weg, der mir tiefere Befriedigung und mehr Befreiung schenkt, als das mir vorschwebende momentane Glücksgefühl. Verwenden wir unsere Kräfte darauf, das anzugehen, was veränderbar ist und nicht dafür, dem nachzujagen oder nachzutrauern, was wir jetzt nicht haben können. Vertraue ich, das es Gott grundsätzlich GUT meint mit mir?

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Revised: Dezember 23, 2005.