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Im vorliegenden und im nächsten Freundesbrief liegt der thematische Schwerpunkt bei Beziehungssystemen. Zuerst eine kurze Inhaltsübersicht:

Teil 1   Paarberatung an der Schnittstelle von Psychologie und
            Glaube, ausgehend vom Text in 1. Korinther 13.

Teil 2   Stabile und labile Zustände im Beziehungssystem –
            Wenn chaotische Zustände neue Lebensräume öffnen.

 

Teil 1: Paarberatung an der Schnittstelle von Psychologie und Glaube, ausgehend vom Text in 1. Korinther 13

Der Text endet mit dem bekannten Vers „Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe.“ Die im erwähnten Abschnitt vorhergehenden Verse sind geprägt von folgender Polarität:

Die vollkommene Liebe
Das Hohelied der Liebe

Die unvollkommene Liebe
Das Stückwerk in der Liebe

Der eine Pol der vollkommenen Liebe ist in den Versen 4-7 in der Form eines Verhaltenskataloges aufgelistet: alles glauben; ertragen; erdulden. Wenn wir all das beherzigen und uns entsprechend Verhalten, dann müsste es in der Beziehung der sich Liebenden ja eigentlich funktionieren? Wir alle haben schon erfahren, dass der Beziehungsalltag aber auch vom Gegenpol, nämlich dem Unvollkommenen geprägt ist. In unserer menschlichen Natur neigen wir alle spontan weniger zu geduldigem und gütigem Verhalten, dafür vielmehr zu Formen von Erwartungen und Forderungen an das Gegenüber, in offener oder subtiler, indirekter Art und Weise. Eine Zeitlang können wir uns selber und gegenseitig bemühen, auf der Verhaltensebene die Methoden des vollkommenen Pols zu leben. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis wir die Erfahrung machen, dass wir dies nicht mehr aufrecht erhalten können und wir scheitern werden. Es stellt sich eine Krise ein. In einer Beziehung an diesem Punkt angekommen haben wir dann Möglichkeiten zur Wahl:

Drei Möglichkeiten mit einer Beziehungskrise umzugehen

1) Ein innerliches Aufgeben und Verstummen, das halt hinnehmen wie es ist, die Erkaltung im Alltäglichen, das Aufrechterhalten einer leblosen Beziehung, die Verbitterung. Eine solche Beziehung kann von aussen gesehen intakt erscheinen. Auch ein äusserlich-frommer Deckmantel kann dazu beitragen, Beziehungen am Leben zu hindern. Beispiel: In meinem therapeutischen Arbeiten begegnen mir Menschen, welche selber oder ihr Partner leitende und verantwortungsvolle Funktionen in Gemeinden inne haben und somit speziell Vorbild sind. Traurig dabei ist, dass aber oftmals nur die Frau den Schritt wagt, Dinge wirklich anzuschauen. Die Männer hingegen tendieren eher dazu, ihr fromm-lebloses dogmatisch-theologisches Gebäude aufrecht zu erhalten und verurteilen nicht selten therapeutische Prozesse. Es gibt auch Fälle wo es umgekehrt ist. Erfahrungsgemäss sind es aber eher die Frauen, die etwas bewegen, näher beim Leben angesiedelt sind.

2) Die Trennung und Scheidung, verknüpft mit der Hoffnung, dass es dann in der neuen Beziehung besser sein wird, um dann aber auch dort letztlich nur wieder sich selbst in der eigenen Unvollkommenheit zu begegnen, und damit wiederum beitragend zur Unvollkommenheit der neuen Beziehung.

Was auf den ersten Blick düster wirken mag, birgt in sich Hoffnungsvolles. Das Grundproblem liegt nämlich darin, dass wir in unseren Beziehungen vorwiegend den einen Pol der vollkommenen Liebe vor Augen haben. Wir suchen das Bild der romantischen Liebe – welches als tiefe Sehnsucht nach dem Paradies in uns liegt – als selber Unvollkommene und zusammen mit einem unvollkommenen Partner zu verwirklichen. Die Verletzungen, das Scheitern, die Krise und die darauf folgende Leere sind vorprogrammiert. Am Punkt der Krise, der Desillusion, zerbricht das Bild der romantischen Liebe. Entweder verharren wir dann weiter in einer einseitigen, auf nur den einen Pol fixierten Sicht, fühlen uns dabei aber mehr und mehr als Enttäuschte, als Opfer, als vom Leben und von Gott Verschaukelte oder

3) wir fangen an aktiv zu werden und den Pol der Unvollkommenheit zu integrieren. Hier liegt ein Schlüssel zu beständigen und lebendigen Beziehungen. Und um diese Möglichkeit erfahren zu können ist es oftmals nötig, dass eine Beziehung einen chaotischen Verlauf nimmt (Diese Thematik werden wir dann in Teil 2 explizit betrachten). Das ehelich-partnerschaftliche Beziehungssystem strebt hin zur Leere, zum Stillstand – als Voraussetzung für eine Neuorientierung, für neues Leben. Ruhe in einem Beziehungssystem [c] wird sich dann einstellen, wenn beide Pole, die schönen, vollkommenen, romantischen Elemente und die unvollkommenen, vergänglichen Elemente mit einbezogen werden. Erst wenn wir aktiv für beide sorgen, wenn beide leben dürfen, dann wird Ruhe und Beziehungs-Erfüllung werden.

   

 

 

 

 

 

 

Das eigene Unvollkommene

Damit wir aber das Unvollkommene des Gegenübers einbeziehen, lieben können, müssen wir uns unserem eigenen körperlichem und charakterlichem Unvollkommensein zuwenden [a]. Den Nächsten zu lieben beginnt – und ist Voraussetzung – bei der Selbstliebe, beim Blick auf sich selbst. Siehe dazu auch den Text ‚Das höchste Gebot’ in Matthäus 22, 36-39.

Eine Übung:

A) Ich notiere mir je all das von mir als vollkommen (positiv) und das als unvollkommen (negativ) Empfundene, was mir a) an meinem Körper und b) an meinem Charakter begegnet.

B) Der nächste Schritt ist dann, zu diesen Anteilen – eben auch zu den unvollkommenen – eine Liebesbeziehung aufzubauen. Diese beginnt damit, dass man anfängt, das Gegenüber, das eigene Unvollkommene zu betrachten, zu beschreiben, Zeit damit zu verbringen. Dort wo etwas Beachtung und Zuwendung erfährt, ist die Voraussetzung gegeben für Leben, für Wachstum, für Entwicklung, für Heilwerden. Das vorerst scheinbar Unvollkommene wandelt sich wachstümlich langsam hin zu Neuem.

Die erwähnte Übung ist eine schwierige und langwierige. Dies daher, weil sie die grösste Aufgabe beinhaltet, welche das Leben an uns stellt: die Versöhnung mit der Vergänglichkeit, mit dem Unvollkommenen. Geborenwerden hat über den grossen Bogen gesehen ein Ziel vor Augen, nämlich das Sterben. Der Tod aber gehört als gewichtigstes Element zur Menge des eigenen Unvollkommenen. Damit, mit den Elementen von Geburt und Sterben, überschreiten wir aber den Raum des irdischen Daseins. Zur Ruhe kommen in uns selbst, indem wir uns selbst mit den eigenen unvollkommenen Anteilen lieben lernen, können wir letztlich nicht aus uns selbst erwirken, sondern muss eingebettet betrachtet werden im übergeordneten Raum des Nichtirdischen, des Transzendenten, des Göttlichen. Hier stossen wir mit dem rein psychologischen Ansatzes der Integration an eine Grenze.

Uns selber mit dem eigenen Unvollkommenen als Geliebte wissen
(In Anlehnung an 1. Johannesbrief 4,9-19)

Uns selber lieben – wenn es nicht bei einer narzisstischen [1] Eigenleistung bleiben soll – ist letztlich erst dann möglich, wenn wir uns zuvor als Geliebte wissen. Ruhe im Innersten, im Herzen wird erst dann werden, wenn wir uns als von Gott, von dem der uns gedacht hat, geliebt wissen [b]. Diese Ruhe geht über die Ebene des menschlich Möglichen hinaus, sie bezieht die göttliche Dimension mit ein. Sie ist nicht mehr geknüpft an Vorstellungen, wie wir selber oder wie andere sein müssten und sich uns gegenüber  verhalten  müssten.  Gott  zeigt  uns gegenüber  seine Liebe darin,  dass er uns seinen Sohn Jesus Christus gesandt hat, damit wir zurück in die Liebe zu Gott    – und damit hinein in eine tiefe Herzensruhe – finden können. Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott und er in Gott, oder einfacher gesagt, es entsteht dadurch eine gegenseitige Liebesbeziehung zwischen Gott und dem Menschen. Die aus dieser Liebe gewirkte Ruhe ist gekennzeichnet dadurch, dass Furcht und negativ verhaltensbestimmende Angst abnimmt. Die Angst vor dem Tod, dem Erscheinen vor Gott, die Angst vor zu kurz kommen im alltäglichen irdischen Leben, wandelt sich in zunehmende Freimütigkeit. Abnehmende Angst etwa vor der eigenen Unvollkommenheit, etwas nicht zu haben am eigenen Körper oder am eigenen Charakter, was für ein Glücklich- und Erfolgreichsein scheinbar nötig wäre. Abnehmende Befürchtungen etwa, etwas vom Partner nicht zu bekommen, was für das eigene Wohlempfinden unentbehrlich scheint. Nicht Angst [die Angst des unerlösten Menschen] ist darin bestimmend sondern vielmehr zunehmend eine Ruhe, eine Liebe uns selber und dem Partner gegenüber. Diese Ruhe [die Ruhe des erlösten Menschen] ist gewirkt vorerst nicht aus uns selber, sondern daraus, dass Gott uns zuerst geliebt hat und wir uns von ihm als Geliebte wissen. n

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[1] Narzissmus: Krankhafte Verliebtheit in die eigene Person. Narziss (gr. Narcissos): Jüngling aus der griechischen Mythologie, der sich beim Anblick seines Spiegelbildes in einer Quelle in sich selbst verliebte.

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